„Heil Hitler“ im Blätterwald

„Heil Hitler“ verbreitete die Polizei

Offenbar rief jemand in der Nacht zu Freitag in Wedding „Heil Hitler“. Zeugen hörten das und riefen dann auch – allerdings die Polizei. Die Polizei hat am Morgen danach „Heil Hitler“ geschrieben – in ihrer Pressemeldung. Das sah die Berliner Morgenpost und textete unverzüglich ebenfalls „Heil Hitler“. DIE WELT schrieb dann auch gleich „Heil Hitler“ hinterher, wie auch die Berliner Zeitung. Sogar bei Flensburg Online wurde gemeldet, dass in Berlin „Heil Hitler“ gerufen wurde. Nämlich in Wedding. Nachts.

Jetzt ermittelt der Staatsschutz. Aber nur in Wedding. Nicht bei denen, die überall hin „Heil Hitler“ geschrieben haben.

Presseschau

Wenn man morgens die Zeitung überfliegt, also die Inhalte und Texte vom gestrigen Nachmittag, dann macht es manchmal Klick im Kopf. Ulkiges Thema, geschicktes redaktionelles Productplacement, dümmliches Klischee, jämmerliche Recherche, super Idee. Manchmal gibt es aber keinen Kick. So wie heute.

Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg
Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg

Lediglich standardisierte Agentur-Jauche, die gestern wortgleich in verschiedensten RSS-Feeds verbreitet wurde. Auf Seite eins ein Schmuckbild. Eine Luftaufnahme aus Deutschland. Irgendwelche Inseln. In Farbe auf lumpiges Zeitungspapier gedruckt und kaum im Detail zu erkennen. Dicke Überschrift: „So schön ist Deutschland“

Trotz bemühtem Farbbild bleiben nach der Presseschau nur die schwarzen Finger, verschmieren die Tastatur, besudeln beim Bettmachen die vormals weißen Bezüge. Außerdem bleibt noch das dicke Bündel Altpapier.

Automator-Workflow: Titelseiten

„Titelseiten“ ist ein Automator-Workflow, der auf Doppelklick die aktuellen Titelseiten von verschiedenen Zeitungen runterlädt, in ein gebündeltes PDF packt und dieses auf dem Schreibtisch mit Datumskennung ablegt.
Während des Vorgangs erscheinen verschiedene Statusmeldungen via Growl. Für die Nutzung ist MacOS 10.5 angesagt.
Die meisten Titelseiten werden erst um 15.30 Uhr deutscher Sommerzeit (9:30 Uhr in Washington) bereitgestellt.
Die Titelseiten der folgenden Tageszeitungen werden abgerufen:
• Süddeutsche Zeitung
• Financial Times Deutschland
• taz
• DIE WELT
• Tagesspiegel
• Berliner Morgenpost
• B.Z.
• Berliner Kurier
• Los Angeles Times
• New York Times
• Washington Post
• Wall Street Journal
• The Guardian
• Daily Telegraph

Viel Spaß damit…

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Initiative Altpapiertonne

Jetzt drehen sie völlig durch. Kulturstaatsminister Bernd Neumann läutete heute die „Nationale Initiative Printmedien“ ein. Junge Leute würden immer weniger Zeitungen und Zeitschriften lesen, wird da beklagt.

In das gleiche Horn stoßen WELT-Chefredakteur Thomas Schmid (der mit dem größten Newsroom Europas, mit der Devise „Online first“ und den unter seiner Marke 1:1 ins Web abgekippten Pressemitteilungen) und Susanne Gaschke von der ZEIT (das sind die mit dem frischen Online-Redaktionsleiter Wolfgang Blau, der unlängst zu viele Tageszeitungen in Deutschland ausmachte). Gaschke wird bei kress.de mit frustrierten Beschwörungen zitiert wie „Wir müssen wirklich daran glauben, dass die Zeitung mehr zu bieten hat als das Infromationsfrikassees aus dem Internet.“ Und: Das „Geraune irgendwelcher Blogger“ werde für erfolgreicher gehalten als das Geschäft mit bedrucktem Papier.

Welch elendes Gejammer!
„Initiative Altpapiertonne“ weiterlesen

VielLeicht besser nicht

Ja, es gibt sie noch, die gute alte Zeitung. Vollgekippt mit Werbebeilagen, auf den Seiten Promi-Gezwitscher, viel Fleisch und Agenturmeldungen. Immer wieder ist Skurriles und Bedenkenswertes dabei. Heute meldet die Berliner Morgenpost, die der Berliner noch immer gerne „Motte“ nennt, auf Seite 6: „Fleischskandal in Bayern aufgedeckt“.

Wie? Jetzt auch Bayern? Seit da ein Protestant an der Macht ist, rauscht der Freistaat ab. Erst Transrapid in die Grütze – und jetzt auch noch Gammelfleisch. Ach nein, kein Gammelfleisch. Dort wurden Schlachtabfälle wie Rinderhäute als Lebensmittel verkauft. Staatsanwaltschaft und Lebensmittelprüfer verneinten eine Gesundheitsgefährung für die Verbraucher.
Worin besteht denn der Skandal, wenn doch nichts Ungesundes exportiert wurde? „In welches Bundesland die Fleischabfälle geliefert wurden, wollte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen nicht sagen“, schreibt die Motte. Na ja, war ja auch nicht schädlich.

Fleisch neu erfunden

Direkt neben dem shocking „Skandal“ eine ganzseitige EDEKA-Anzeige. In großen Lettern darauf: „Wir haben die Wurst neu erfunden.“ Daneben abgebildet ein Stück Formschinken mit der Message: „Weltneuheit! Unter 3% Fett.“ Wahnsinn, möchte man denken, wie haben die das geschafft? Welche Gewebereste das wohl sein mögen? Ganz einfach: „Herstellungsverfahren des Frauenhoferinstituts“. Und wir Idioten dachten immer, Wurst stamme von Tieren.
Und wie heißt die Marke, die so etwas möglich macht und vertreibt? Ein neuer Markenname ist am Konsumhimmel erstrahlt. Er wird sicher in die Geschichte eingehen:
VielLeicht

Herbst im Blätterwald

Am Briefkasten meiner Nachbarn hängt jetzt ein zweiter Aufkleber. Unter „Keine Werbung einwerfen!“ prangt der Hinweis „Keine Tageszeitungen!“.

Am beliebten Winterfeldmarkt in Schöneberg steht eine ältere Frau unter einem ausgeblichenen, leicht defekten Sonnenschirm und versucht, den Passanten absolut kostenlos, unverbindlich, ohne Unterschrift eine aktuelle Ausgabe der „Berliner Morgenpost“ zu schenken. Fast alle lehnen ab, schütteln den Kopf oder stieren einfach in eine andere Richtung.

Wer bei der Berliner Volksbank ein kostenloses Girokonto eröffnet, der bekommt jetzt ein halbes Jahr die „Berliner Morgenpost“ umsonst nach Hause geliefert. Wer bei S-Bahn oder BVG ein Jahresticket für 650 Euro kauft, der braucht nur 3 Euro drauflegen, und schon bekommt er ein komplettes Jahresabo der „Berliner Zeitung“ oder der „Berliner Morgenpost“ dazu.

Unmittelbar vor dem Flohmarkt am Preußenpark steht ein Promotion-Duett, das mir zwei mal drei Gutscheine für „WELT am Sonntag“ in die Hand drückt. Im Café neben dem Flohmarkt liegt sonntags ein dicker Stapel „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aus. Davor ein Schild: „Für unsere Gäste als kostenloser Service des Parkcafés“. Auf dem Weg zur Toilette, deren Nutzung für Nicht-Gäste und Flohmarktbesucher mit 50 Cent berechnet wird, liegt ein riesiger Stapel des Stadt- und Szenemagazins „Prinz“ zum Mitnehmen. Der liegt schon lange da. Und schrumpft kaum.

Früher haben die Menschen Zeitungen gekauft, um sich zu informieren, um ein Auto zu finden, eine neue Wohnung, um mitreden zu können am Pausentisch, um unterhalten zu werden oder ihren Horizont zu erweitern.

Dann haben die Leser angefangen, aus unterschiedlichen Gründen auf die Zeitung zu verzichten. Die Verlage reagierten mit Schnäppchenangeboten. Als auch diese nicht mehr zogen, wurden Beigaben geschaffen: Wer eine Zeitung kauft, bekommt eine CD dazu, wer ein Jahresabo bestellt, der bekommt die Hälfte des Preises als Bargeld gleich wieder zurück. Oder einen Staubsauger, oder einen iPod. Half auch nichts.

Jetzt werden die Zeitungen unaufgefordert in Briefkästen gesteckt, auf der Straße lungern Verteiler zwischen rumänischen Bettlern und „motz“-Verkäufern rum, um uns irgendwie diese Druckerzeugnisse zuzustecken. Jetzt kaufen wir einen Fahrschein und bekommen die Zeitung als Zugabe. Jetzt müssen wir uns schon davor schützen.

Tageszeitungen sind wertlos geworden. Nur wenige Menschen nehmen diese Papierbündel überhaupt noch gratis entgegen. Auf den Punkt bringt das der „Tagesspiegel“. Wer dort ein kostenloses und unverbindliches 14-tägiges Probeabo bestellt, der bekommt in seinem Begrüßungsschreiben als Vorteil angepriesen, dass die Belieferung mit der Zeitung auch wirklich nach 14 Tagen eingestellt wird.

Daher macht das Schild am Briefkasten meiner Nachbarn auch wirklich Sinn.