Männer raus aus Prenzlberg!

Es ist die geheime Republik der alleinerziehenden Mütter, die nebeneinander ihre Kinderwägen über den Bürgerinnensteig pressen wie Panzer. Sie haben ihr Einzelkind kurz vor ihrem 40. Geburtstag auf die Welt gedrückt. Jetzt ist es das Heiligtum. Mit Acht-Punkt-Gurten wird es im Kindersitz des CO2-spendenden Geländewagens fixiert. Es bekommt jeden Krempel, den diese Welt für Eltern anbietet, die damit ihr schlechtes Gewissen abbezahlen, weil die Kleinen keinen Pappi haben.

Auf einen Baum klettern? Das geht in Prenzlauer Berg nicht, viel zu gefährlich. Mit anderen Jungs raufen? Nein, bitte keine Gewalt! Fast bis zur Volljährigkeit werden die Jugendlichen von Mutti zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Dann kann sicher nichts passieren. Außer vielleicht, dass sich das Kind vor ein Auto wirft oder den Goldenen Schuss setzt, weil es unter dem Übergewicht des mütterlichen Gluckentums seelisch zermalmt wird.

Neuerdings herrscht Aufruhr in der Single-Mütter-Republik. Eine ganze Seite widmet die Berliner Morgenpost dieser Angst. Denn rechts und links der Prenzlauer Allee wurden Kinder belästigt. Von Männern. Wohl von verschiedenen, denn die Beschreibungen unterscheiden sich sehr stark. Aber in jedem Fall von Männern, da sind sich alle sicher. Die Mütter sind wachsam – ganz besonders wachsam. Es werden Schilder aufgehängt: „Warnung an alle, die unseren Kindern zu nahe kommen!“

Laut Morgenpost hat zum Beispiel Iris R. vor ein paar Tagen am Rande des Spielplatzes auf dem Kollwitzplatz einen Mann stehen sehen. „Er hatte offensichtlich kein eigenes Kind dabei“, wird sie zitiert. Dann war er ganz plötzlich verschwunden. Alle Achtung! Ein Mann ohne eigenes Kind am Rande eines Spielplatzes. Er hätte vielleicht besser einen Umweg genommen auf dem Weg ins Frühstückscafe zu seinem Bekannten. Vermutlich nur knapp ist er einer vorläufigen Verhaftung entgangen. Gelyncht wird ja noch nicht. Wie kommt er auch dazu, als Mann ohne Kind in der Nähe eines Spielplatzes zu stehen!

Eine Mutter beschreibt der Reporterin, wie sie ihrem zehnjährigen Sohn untersagt hat, mit Freunden Fußball zu spielen oder sich auf dem Bauspielplatz zu treffen. Der Junge muss es sich jetzt als Couch-Potato vor dem Trivial-TV gemütlich machen. Früher hieß das Stubenarrest. Aber es ist ja nur zu seinem Besten, wenn da draußen alles voll ist von verschiedenen pädophilen Männern.

Was Iris R. und die Morgenpost-Reporterin nicht bedacht haben: Warum kann ein Mann, der Kindern nachstellt, eigentlich nicht auch selbst ein Kind haben? Und wenn dem doch so sein könnte, dann sind die Kinder nicht mal in der Schule, dem Kindergarten, auf dem Spielplatz sicher. Denn der Pädophile könnte ja im Schutze seines eigenen Kindes ganz nahe kommen.

Also bleibt nur eine Lösung: Um wirklich sicher zu gehen, müssen Männer ab 16 Jahren raus aus Prenzlberg. Dann ist wieder Friede, Sicherheit, Beruhigung. Kinder können unbeschwert zur Schule oder in den Kindergarten flanieren, lachen, sich mit Blättern bewerfen, ohne dass ein Mann in Sicht sein könnte. Und wenn sie doch mal einen sehen, dann schreien sie sofort um Hilfe. Der wird dann gleich abtransportiert.

Kind sein oder nicht sein?

Wie die Zeiten sich ändern: Als ich noch zur Schule ging, hatte ich bis zum Alter von 14 Jahren in der U-Bahn keinen Sitzplatzanspruch. So stand es in den Beförderungsbedingungen. Ich durfte ja auch nicht auf dem Rasen spielen oder im Park mit dem Rad fahren. Wenn ein Erwachsener kam, konnte er mich in der U-Bahn mit meinem bleischweren Schulranzen vom Sitzplatz wegjagen.

Bis heute stehe ich lieber in der U-Bahn, denn irgendwie habe ich das Gefühl, wieder keinen Sitzplatzanspruch zu haben. Denn ich bin weder krank, behindert, noch alt, eine Frau oder gehöre zu einer unterdrückten Minderheit. Ich stehe am liebsten – dann kann mich keiner verjagen oder eine entsprechende hassuntermalte Anforderung an mich stellen.

Gestern kam eine junge Mutter mit ihrem rund fünfjährigen Kind in den Waggon. Es war nur noch ein Behindertensitz frei. Ich dachte, sie setzt sich dort hin, lässt ihr Kind etwas rumtoben oder setzt es sich auf den Schoß. Nein, sie setzte das Kind auf den freien Platz und kniete sich mitten in den Dreck vor ihren kleinen Pascha. Dann fing sie an, auf das Kind einzureden.

Früher habe ich mir oft gewünscht, erwachsen zu sein, als ich überall verjagt wurde oder immer gestört habe. Heute bin ich erwachsen und wäre eigentlich ganz gerne wieder ein Kind.

Bloß was wird aus diesen Kindern, wenn sie mal nicht mehr von Mutti in Watte gewickelt werden? Vielleicht will ich doch heutzutage kein Kind sein.