Initiative Altpapiertonne

Jetzt drehen sie völlig durch. Kulturstaatsminister Bernd Neumann läutete heute die „Nationale Initiative Printmedien“ ein. Junge Leute würden immer weniger Zeitungen und Zeitschriften lesen, wird da beklagt.

In das gleiche Horn stoßen WELT-Chefredakteur Thomas Schmid (der mit dem größten Newsroom Europas, mit der Devise „Online first“ und den unter seiner Marke 1:1 ins Web abgekippten Pressemitteilungen) und Susanne Gaschke von der ZEIT (das sind die mit dem frischen Online-Redaktionsleiter Wolfgang Blau, der unlängst zu viele Tageszeitungen in Deutschland ausmachte). Gaschke wird bei kress.de mit frustrierten Beschwörungen zitiert wie „Wir müssen wirklich daran glauben, dass die Zeitung mehr zu bieten hat als das Infromationsfrikassees aus dem Internet.“ Und: Das „Geraune irgendwelcher Blogger“ werde für erfolgreicher gehalten als das Geschäft mit bedrucktem Papier.

Welch elendes Gejammer!
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Herbst im Blätterwald

Am Briefkasten meiner Nachbarn hängt jetzt ein zweiter Aufkleber. Unter „Keine Werbung einwerfen!“ prangt der Hinweis „Keine Tageszeitungen!“.

Am beliebten Winterfeldmarkt in Schöneberg steht eine ältere Frau unter einem ausgeblichenen, leicht defekten Sonnenschirm und versucht, den Passanten absolut kostenlos, unverbindlich, ohne Unterschrift eine aktuelle Ausgabe der „Berliner Morgenpost“ zu schenken. Fast alle lehnen ab, schütteln den Kopf oder stieren einfach in eine andere Richtung.

Wer bei der Berliner Volksbank ein kostenloses Girokonto eröffnet, der bekommt jetzt ein halbes Jahr die „Berliner Morgenpost“ umsonst nach Hause geliefert. Wer bei S-Bahn oder BVG ein Jahresticket für 650 Euro kauft, der braucht nur 3 Euro drauflegen, und schon bekommt er ein komplettes Jahresabo der „Berliner Zeitung“ oder der „Berliner Morgenpost“ dazu.

Unmittelbar vor dem Flohmarkt am Preußenpark steht ein Promotion-Duett, das mir zwei mal drei Gutscheine für „WELT am Sonntag“ in die Hand drückt. Im Café neben dem Flohmarkt liegt sonntags ein dicker Stapel „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aus. Davor ein Schild: „Für unsere Gäste als kostenloser Service des Parkcafés“. Auf dem Weg zur Toilette, deren Nutzung für Nicht-Gäste und Flohmarktbesucher mit 50 Cent berechnet wird, liegt ein riesiger Stapel des Stadt- und Szenemagazins „Prinz“ zum Mitnehmen. Der liegt schon lange da. Und schrumpft kaum.

Früher haben die Menschen Zeitungen gekauft, um sich zu informieren, um ein Auto zu finden, eine neue Wohnung, um mitreden zu können am Pausentisch, um unterhalten zu werden oder ihren Horizont zu erweitern.

Dann haben die Leser angefangen, aus unterschiedlichen Gründen auf die Zeitung zu verzichten. Die Verlage reagierten mit Schnäppchenangeboten. Als auch diese nicht mehr zogen, wurden Beigaben geschaffen: Wer eine Zeitung kauft, bekommt eine CD dazu, wer ein Jahresabo bestellt, der bekommt die Hälfte des Preises als Bargeld gleich wieder zurück. Oder einen Staubsauger, oder einen iPod. Half auch nichts.

Jetzt werden die Zeitungen unaufgefordert in Briefkästen gesteckt, auf der Straße lungern Verteiler zwischen rumänischen Bettlern und „motz“-Verkäufern rum, um uns irgendwie diese Druckerzeugnisse zuzustecken. Jetzt kaufen wir einen Fahrschein und bekommen die Zeitung als Zugabe. Jetzt müssen wir uns schon davor schützen.

Tageszeitungen sind wertlos geworden. Nur wenige Menschen nehmen diese Papierbündel überhaupt noch gratis entgegen. Auf den Punkt bringt das der „Tagesspiegel“. Wer dort ein kostenloses und unverbindliches 14-tägiges Probeabo bestellt, der bekommt in seinem Begrüßungsschreiben als Vorteil angepriesen, dass die Belieferung mit der Zeitung auch wirklich nach 14 Tagen eingestellt wird.

Daher macht das Schild am Briefkasten meiner Nachbarn auch wirklich Sinn.