Good Old Young

Eigentlich bin ich schon alt. Manchmal fühle ich mich auch so. Heute nicht. Heute war ich bei Neil Young (älter) mit 5000 Fans (meistens auch älter) in der Freilichtbühne der Spandauer Zitadelle (saualt).

Rechts und links stehen Männer mit ergrauten oder überwiegend verschwunden Haaren und schreiben sich jeden Titelname, den Young spielt, auf einen kleinen Zettel. Einer hat sogar einen Computerausdruck, eine Art Matrix, auf der die Autrittsorte und die Titelnamen eingetragen sind. Die Männer nicken bei wilden Gitarrensoli leicht, aber konzentriert mit dem Kopf. Vielleicht sind sie nach einer wilden Jugend Buchhalter geworden. Andere quatschen die ganze Zeit. Ist die Musik gerade lauter, brüllen sie.

Eine junge Frau reißt bei „Cortez the Killer“ ihr Nokia der drittletzten Generation hoch, um mit der Diktierfunktion die Ballade aufzunehmen. Da, wo Young vor 30 Jahren vielleicht noch Feuerzeuge (ja, die gab’s damals schon) aufblitzen sah, da blenden jetzt Fotohandy-Displays und verbotene Digicams. Voller Euphorie fotografieren da welche aus dem Dunklen ins Dunkle ohne Blitz und Auflösung. Verschwommene, grobpixelige Bilder, die spätestens am nächsten Tag dem Speicherplatz weichen müssen. Und das Nokia-Diktiergerät-Gekrächze will die süße Blonde sicher auch nicht wirklich hören. „Aber es war doch so schön“, rechtfertigt sie sich am nächsten Mittag beim Latte, wenn sich ihre Freundin das 12-Minuten-Gerausche komplett anhören muss.

Neil Young (nicht wirklich jung) macht keine Pause, spielt über zwei Stunden durch, immer in Aktion. Mal ruhiger. „Heart of Gold“ hört sich fast unverändert an wie damals auf „Harvest.“ Am Ende lässt er uns etwas verwirrt nach einer Cover-Version von „A Day In The Life“ zurück. Wie durch einen Trichter werden wir älteren Herrschaften dickflüssig durch das Festungstor der Zitadelle rausgedrückt.

Nach drei Stunden Stehen spüre ich dann schon die Beine. Ich bin also doch alt. Beim Rausgehen erzählt mir ein Freund, er ziehe für solche Konzerte immer Stützstrümpfe an. Das ist der Beweis: I’m young.

Presseschau

Wenn man morgens die Zeitung überfliegt, also die Inhalte und Texte vom gestrigen Nachmittag, dann macht es manchmal Klick im Kopf. Ulkiges Thema, geschicktes redaktionelles Productplacement, dümmliches Klischee, jämmerliche Recherche, super Idee. Manchmal gibt es aber keinen Kick. So wie heute.

Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg
Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg

Lediglich standardisierte Agentur-Jauche, die gestern wortgleich in verschiedensten RSS-Feeds verbreitet wurde. Auf Seite eins ein Schmuckbild. Eine Luftaufnahme aus Deutschland. Irgendwelche Inseln. In Farbe auf lumpiges Zeitungspapier gedruckt und kaum im Detail zu erkennen. Dicke Überschrift: „So schön ist Deutschland“

Trotz bemühtem Farbbild bleiben nach der Presseschau nur die schwarzen Finger, verschmieren die Tastatur, besudeln beim Bettmachen die vormals weißen Bezüge. Außerdem bleibt noch das dicke Bündel Altpapier.