Hampelfrauen und Phantom-Stöcke

Seit Jahren irren überwiegend ältere meist angerundete Damen durch den Volkspark, die Arme nach vorne waagerecht ausgestreckt. Als hätten sie überlange Stöcke in den Händen. Aber da ist nichts. Sie sehen angestrengt aus, geradezu gehetzt. Der Oberkörper wirkt versteift, ähnlich die Mundwinkel. Da leidet jemand. Wie ein Hampelmann, bloß ohne Fäden.

Nordic Walking soll das sein. Dr. Ulrich „das erlauben dann doch“ Strunz hat es in seinen Bestsellern propagiert. Soll die Gelenke schonen. Allerdings mit richtigen, nicht mit Phantom-Stöcken. Wie Anhängerinnen einer Sekte wurden die Gläubigen des grau melierten, stoiberesken Fitness-Gurus von Monat zu Monat mehr. Und wackelten durch den Volkspark.

Jetzt hat eine Feldstudie ergeben, dass Nordic Walking die Gelenke nicht schont, sondern stärker belastet als das herkömmliche Walking, also das Gehen, das Wandern, das was Menschen schon seit Jahrtausenden in einer gewissen Art und Weise tun. Und das ja vielleicht allein schon deswegen nicht gänzlich falsch sein muss.

Wenn das Nordic Walking so natürlich und sinnvoll ist, dann wären den Menschen im Laufe der Evolution sicherlich stockähnliche Gebilde gewachsen. Die Evolution sieht es wohl anders als Strunz.
In den letzten Wochen sind es merklich weniger Powerfrauen mit Phantom-Stöcken geworden. Entweder sie haben von der Studie gehört – oder sie sind auf ne neue Hüfte beim Orthopäden.

Das staatliche Kind

Da irrt ein 7-Jähriger durch Berlin, fährt mit der U-Bahn von hier nach dort, keine Schuhe an den Füßen. Die Polizei greift den Jungen auf. Seine Mutter gibt an, mit ihm Streit gehabt zu haben. Er sei einfach abgehauen. Sie hatte wohl ordentlich Alkohol intus. Das war vorgestern.
Jetzt ist Ben weg. Weg von Mutter und Schwester. Das Jugendamt will in den nächsten Tagen entscheiden, ob Ben zu seiner Mutter zurück darf.

Jetzt gehört Ben dem Staat.

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ihren Eltern gegen deren Willen durch staatliche Einrichtungen weggenommen wurden, ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Das meldet heute das Statistische Bundesamt. Wurden 2006 lediglich 151 Minderjährige Gegenstand einer „Herausnahme“, wie der Vorgang offiziell heißt, waren es in 2007 mit 435 fast drei Mal so viele.

Sind Eltern wirklich so schnell so dramatisch schlimmer und gefährlicher für ihre Kinder geworden? Oder hat sich etwa die öffentliche Einstellung verändert, was für Kinder schlimm und gefährlich sein könnte? Vor 30 Jahren gab es noch keine gewaltige Medienresonanz, wenn sich ein 14-Jähriger an der Parkbank mit Billigschnaps auf 2,5 Promille aufblähte. Auch war nichts zu hören von Kindern, die abgeholt wurden, weil die elterliche Wohnung vermüllt und schmutzig war. Jetzt greift der Staat ein. Manche sagen: Endlich. Denn Kinder sind ja Zukunft.

Alte sind hingegen Vergangenheit. Wenn die Sinne nachlassen und die Kräfte, vermüllen viele von ihnen in ihren Mietwohnungen. Sie irren oftmals verwahrlost durch die U-Bahnhöfe der Stadt mit kaputten Schuhen. Keine Polizeistreife greift sie auf. Wenn sie den Weg zurück in ihre Wohnung finden, sterben sie dort vielleicht. Und verwesen, bis die Nachbarn den Geruch nicht mehr aushalten.

Das ist Gegenwart.

Ein Volk wird irre

We go crazy: Erstmals sind in Deutschland psychische Störungen der Hauptanlass für Klinikaufenthalte. Deutsche verbringen wegen diesen Störungen insgesamt mehr Tage im Krankenhaus als wegen Kreislauferkrankungen. Das geht aus dem jetzt veröffentlichten „Report akut-stationäre Versorgung 2008“ der Gmünder Ersatzkasse (GEK) hervor.

Nun werden wir nicht wirklich viel irrer, als wir ohnehin schon sind. Denn die Verweilzeiten für organische Erkrankungen sind weiter gesunken. Dadurch ist der Irrsinn zum Aufenthaltsgrund Nummer 1 aufgestiegen, sozusagen nachgerückt. Aber warum sinken denn in diesem Bereich die Verweilzeiten nicht wie bei den eher mechanischen Krankheiten?

Das soziale Geflecht funktioniert nicht. Immer mehr Alleinlebende, immer mehr Druck von außen, immer höhere Anforderungen von allen Seiten an den Einzelnen, mehr Wut im Alltag, auf den Straßen, in der Warteschlange im Supermarkt. Weniger Ruhe, nur selten Geborgenheit, kein Trost, geringes Vertrauen. Beschleunigung bis zum Durchdrehen. Überall Beratung von Computern, automatengeneriertes Danke und maschinell erstellte Mahnungen, die ohne Unterschrift gültig sind.

Es ist sehr kalt in Deutschland. Eine Nation in der technokratischen Isolationsfalle. Daher holen sich viele Menschen die fehlende Zuwendung und persönliche Ansprache woanders. Zum Beispiel im Krankenhaus.

So krank ist unsere Welt.

Die Freunde von der Post

Haben Postler Freunde? Gibt es eine Chance, Freundschaft zu schließen, wenn man jemanden kennenlernt und plötzlich damit rausrückt, bei der Telekom zu arbeiten?

Offenbar nicht wirklich.

Jetzt hat T-Mobile ein Sozialisationsprogramm für die Mitarbeiter aufgelegt. Jeder Angestellte darf Freunden und Familienmitgliedern Rabatt-Coupons für die neuen iPhones und die damit verbundenen zweijährigen üppigen Tarife verteilen. Ganze 30 Rabatt-Codes hat jeder T-Mobile-Mitarbeiter zur Verfügung. Ganz bald haben sie alle bis zu 30 Freunde.

Während in anderen europäischen Ländern die Tarife zu den iPhones erheblich günstiger sind, scheinen hier der aufgestaute Druck durch die teils öffentlichen Herabwürdigungen von Postlern und die damit verbundene Minussymptomatik so ausgeprägt zu sein, dass dieser Ausdruck sozialer Fürsorge des Unternehmens bestimmt Linderung verschafft.

Kopf ab ist ein Kapitaldelikt

Wie geil ist das denn: Ein Ex-Polizist, der meint, eigentlich auf die andere Seite zu gehören, überwindet zwei Personenschützer, springt über den Schreibtisch des Führers und reißt Adolf Hitler den Kopf ab. Mitten in der deutschen Hauptstadt. Er wird festgenommen und hat jetzt ein Verfahren am Hals. Und sein Hund, der nicht den Namen „Untergang“ trägt, sondern schlicht „Absturz“ heißt, musste für die Aktion auch noch auf Gassi verzichten.

Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett fragt auf seiner Homepage: „Wen möchten Sie treffen?“ Vielleicht dachte sich der Ex-Polizist: „Hitler will ich treffen. Und zwar am Kopf. Einer muss es doch tun.“

Angeblich entwickelte er seinen Attentatsplan erst kurz zuvor, als er in der Glotze einen Bericht über die Kabinettseröffnung sah. Laut seiner Lebensgefährtin soll er gesagt haben: „So geht das nicht.“ Vielleicht war er zusätzlich auch angestachelt durch den millionenfach gedruckten Aufruf, das Wachsfigurenkabinett mit Erbrochenem zu besudeln.

Von den Medien wird die gestrige Tat artig in einen welthistorischen Kontext gerückt.

Vielleicht übernimmt Madame Tussaud ja die abzusehende Geldstrafe für den Täter. Ein größeres PR-Spektakel zur Eröffnung der neuen Filiale ist schließlich nicht denkbar. Mit ein bisschen Wachs wird der Kopf wieder angeklebt, aber fast die ganze Welt kennt jetzt den Führer, wie er da bald wieder im Herzen der Ex-Reichshauptstadt an seinem Schreibtisch sitzt.

Die Baby-Schlitzer

Kinderträume
Kinderträume
Angst um Kinder. Alle haben sie. Und alle wollen auf Nummer sicher gehen. Natürlich auch die Halbgötter in weiß, wenn sie ein Neugeborenes in ihrer Obhut haben. Damit es zum Beispiel auf gar keinen Fall an einem Schluck Milch ersticken kann, werden vorsorglich Mundraum und Luftröhre abgesaugt.

In einer jetzt veröffentlichten französischen Studie wurde der ganz normale durch Gutmenschen verursachten Alptraum von Neugeborenen auf Intensivstationen dokumentiert. Danach werden bei einem achttägigen Aufenthalt eines Kindes durchschnittlich 141 Eingriffe gemacht, die entweder schmerzhaft oder belastend sind. Für die Neugeborenen wird die Angst der Anderen so zur eigenen Qual.

Nicht nur, dass sie immer öfter des Geburtsvorgangs beraubt werden, weil die Eltern sie durch einen Kaiserschnitt ins richtige Sternzeichen befördern, oder das einfach nur schnell abwickeln wollen, um ein wichtiges Seminar wahrnehmen zu können. Wenn die neuen Menschen draußen sind, geht das eigentliche Martyrium erst richtig los. Dann wird gleich geschlitzt und gespritzt.

Für die französische Studie wurde die Behandlung von 430 Babys im Alter von unter einem Monat verfolgt. Manchen von ihnen wurde in zwei Wochen über 150 Mal die Luftröhre abgesaugt und 95 Mal Blut aus der Ferse entnommen. Sehr oft ohne schmerzlindernde Maßnahmen. Wer sich mal einen Nagel in die Ferse getreten hat, der weiß: Das macht kein Fakir dieser Welt freiwillig mit.

Aber die Säuglinge können sich ja nicht wehren. Und es ist ja nur zu ihrem Besten. Schreien tun sie sowieso. Ob nun wegen der Nadel in der Ferse oder dem ausbleibenden Bäuerchen.

50 Jahre Emanzipation

50 Jahre Emanzipation. So alt sehen die Herrenfrauen eigentlich gar nicht aus. Die, die sich einen Mann als Drohn nehmen, damit der ihr Kind wickelt, wenn sie sich mit einer Freundin treffen wollen. Er glaubt zwar, es sei auch sein Kind. Aber das glaubt er nur. Sie weiß es besser.

Die Alpha-Frauen, die in der U-Bahn nicht aufstehen, wenn alle Männer sich erheben, um einem Gewalttäter damit zu demonstrieren, dass er aufhören soll, weil sie bereit sind einzuschreiten.

Die emanzipierten Frauen, die jedes Balgen pubertierender Jungen auf dem Schulhof sofort unterbinden, es aber als selbstverständlich ansehen, dass Wehrpflicht nur für Männer gilt.

Die Frauen, die Männlichkeit doch so mögen. Bei Fußballern die muskulösen Oberschenkel, das stramme Pferd unter dem Gesäß. Und den Beschützer, der sich wieder und wieder eine blutende Nase abholt, wenn sie wieder und wieder lauthals irgendeinen anderen Typen beschimpft und beleidigt haben.

Diese Wesen, die jedes Lächeln, jeden Blick und jeden Spruch sofort als sexuelle Belästigung empfinden. Außer bei dem Prinzen auf dem Schimmel. Der reitet aber vorbei, weil er nicht den Eindruck erwecken will, irgend jemanden sexuell belästigen zu wollen.

All diese Frauen, denen unter dem Begriff der Emanzipation offenbar nichts besseres einfällt, als die oft befremdlichen Lebensziele der Männer auch anzustreben, anstatt diese kritisch zu hinterfragen und ein vernünftigeres Leben zu führen. Wie ärmlich.

Die sind jetzt also 50. 

Also Halbzeit. 

Na Mahlzeit. 

National-Exzesse

Bundes-Jogi greift zur Kippe und verliert eine Wette um zwei Pullen gegen seinen Co-Trainer. Und das während eines EM-Viertelfinales der Deutschen. Während die Kameras des Kontinents auf die Milchglasscheibe seiner Zelle im Stadion gerichtet sind.

Da läuft doch was schief mit dem Nichtraucherschutz und der allgegenwärtigen Ächtung von Genuss und/oder Rausch. Was sind das für Vorbilder, die doch eigentlich artig verbreiten sollen, dass Sport viel besser ist, als zwei Pullen auf der Parkbank zu leeren? Statt dessen ist die eindeutige Message: Sport und Drogen sind besser als nur Sport oder nur Drogen.

Verbot ohne Not

Rauchen erst ab 18, das kleine Besäufnis nur noch im Dunkeln auf der Parkbank. Es ist nicht leicht, heutzutage Jugendlicher zu sein, ohne Opfer der neuen Verbotskultur zu werden. Gerade noch rechtzeitig wurde jetzt ein Gesetzentwurf zurückgezogen, mit dem sogar das Knutschen Jugendlicher im Kino strafbar geworden wäre.

Sind unsere Menschinnen und Menschen teilweise schon mit 13 oder 14 geschlechtsreif, dürfen sie das aber erst nach dem 18. Geburtstag erleben. Eine Art sexuelle Konterrevolution, durch die die hormondurchfluteten jungen Männer und Frauen das offenbar klerikale Gefühl bekommen sollen, Sex sei etwas Schlimmes und Verbotenes.

Aber juckt das die Jugendlichen wirklich? Kann es sie überhaupt noch jucken, ob das nun verboten ist oder nicht? Sind sie nicht inzwischen von so vielen Verboten umgeben, dass sie es in vielen Fällen nicht einmal bemerken, dass sie gerade straffällig geworden sind?

Das indizierte Ballerspiel, das Porno-Filmchen aus dem Netz, der illegale Download aus einer Musiktauschbörse, die selbstgebrannte DVD von einem Hollywood-Splatter-Streifen, vor deren Raubkopie im Vorspann mit Handschellen, Blaulicht und Gefängnismauern gewarnt wird.

Und wenn das schon alles verboten ist, dann ist der Jugendliche ohnehin kriminell. Es geht also nur noch darum, nicht erwischt zu werden. Beim betrunkenen Fahren ohne Führerschein, beim Eintreten auf einen alten Mann in der U-Bahn, bei Vergewaltigung, Bedrohungen mit Messern oder einem klassischen Raubüberfall auf der Straße. Es passiert im schlimmsten Falle nur das, was droht, wenn man eine kopiergeschützte DVD rippt. Und das machen schließlich fast alle in der Klasse.
Na dann…

Die große Flirt-Lüge

Gestern schrieb ich über die Begegnung der besonderen Art mit der Professionellen namens Dani, die an mir die Rezepte eines Flirttrainers für die BILD der Frau ausprobiert hat.
Heute lese ich in der Morgenpost ein Interview mit eben diesem Flirttrainer. Dieses Interview setzt mein Erleben von gestern in ein gänzlich anderes Licht. Es ist alles noch viel schlimmer.

Phillip von Senftleben heißt der Flirtexperte, für dessen Rezepte ich unwissend als Versuchskaninchen herhalten musste. In der „Motte“ erklärt er die Basics des Flirts:
Wenn er jetzt flirten müsste, würde er seine „Top Five“ anwenden. „Das sind Mut, Aufrichtigkeit, individuelles Vorgehen, Humor und die drei großen S.“ Diese wiederum seien „Selbstreflektion, Selbstbewusstsein, Selbstironie“.

Philip von Senftleben arbeitet auch in einer unbedeutenden Berliner Radio-Show und entlockt dort telefonisch irgendwelchen Frauen am Arbeitsplatz die private Telefonnummer. Phillip hat ein außerordentlich verhaltensinteressantes Business.

Sezieren wir doch vor diesem Hintergrund einmal Danis Flirt-Attacke von gestern: „Die große Flirt-Lüge“ weiterlesen