Zeitungspapier online – Die Ohnmacht der Zahlen

Die IVW-Zahlen sind für Chefredakteure und Verleger von Zeitungen seit Jahrzehnten das Wichtigste. Konnten sie an den Zahlen doch halbwegs ablesen, wie gut sich Blätter verkauften. Und da in diesen Blättern ja Werbung war und für die Zeitungen bezahlt wurde, bildeten die Zahlen gleichermaßen ein Dokument für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg.

Dann kamen die Online-Ableger. Und wieder war es die IVW, die nach einem langen Findungsprozess die Maßeinheiten einführte, was als erfolgreich und was als erfolglos gilt. Nicht nur vierteljährlich durften die Chefredakteure und Verleger seither die Tabellenwerke studieren, monatlich gibt es jetzt die Klickzahlen der IVW.

Die Verlagsleute konnten nicht verstehen, wie ihr Online-Auftritt mal in einem Monat 25 Prozent zulegen, im nächsten 30 verlieren konnte. Das war sehr ungewohnt. Gab es doch bei den Blättern Veränderungen im einstelligen Prozentbereich – und das auch nur jedes Quartal.

Also drückten sie sofort Pressemitteilungen raus, wenn eine Steigerung von 25 Prozent ihre Augen glänzen ließ. Alle Medienmagazine von kress über horizont bis zum Kontakter wurden mit altertümlichen Faxen voll des Eigenlobs beschickt. Und dann kam der nächste Monat.

Minus 30 Prozent. Sofort wurde der verantwortliche Onliner zum Rapport bestellt. In die oberen Etagen. Noch vor dem Vorzimmer auf dem Flur musste er 20 Minuten warten. Wie denn das passieren konnte, wurde er dann vorwurfsvoll angefahren, man müsse sich bei solchen Einbrüchen Gedanken machen, ob der Posten eigentlich richtig besetzt sei.

Die langsamen Printmanager begriffen nicht, wie es dazu kommen konnte. Sie verstanden nicht, was es bewirkte, wenn ein international gut besuchtes Portal plötzlich auf eine Bilderstrecke im eigenen Angebot verlinkte. Und danach den Link irgendwann auch wieder aus dem Angebot nahm.

Sie wunderten sich trotzdem ganz still und voller Euphorie, wie denn plötzlich Millionen Menschen auf die Idee kommen konnten, den Computer hochzufahren, um dann ganz gezielt die Adresse ihres Online-Ablegers http://www.schlagmichtot.de/ einzugeben. So, wie die Leser ja zum Kiosk gehen und dort ganz gezielt ihre Zeitung erwerben. Sie waren sich ganz sicher: Ihre Webadresse muss es gewesen sein, die sie unter dem Zeitungslogo auf Seite 1 gedruckt haben. Und in den Ressorts, da stand ja jetzt auch in Druckerschwärze: Mehr Sport auf http://www.schlagmichtot.de/. Das muss der Grund sein, natürlich.

Jeden Monat wurde der gebeutelte Online-Redakteur vorgeladen, mal mit der Bemerkung, das sei ja ganz ordentlich gewesen im letzten Monat, mal mit der latent ummalten Drohung mit dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes. „Wenn das so weitergeht, müssen wir uns wirklich fragen, ob das Sinn macht mit Online.“

Dann saß der Onliner wieder zusammen mit seinen zwei untertariflich bezahlten Kollegen fernab der Zeitungsredaktion in dem kleinen Raum zwischen Materialwarenlager und Poststelle und wunderte sich ebenso still, warum insgesamt fünf Boten im Wechseldienst handgekritzelte Zeitungslayouts vom CvD in die Produktion trugen, er selbst aber das komplette neue Medium so unwürdig zusammen mit ein paar aus anderen Ressorts aussortierten Kollegen zu Weltruhm führen sollte. Und das, während Hundertschaften in dem Hochhaus Tag für Tag damit beschäftigt waren, Meldungen und Gedanken zusammenzuschreiben, um diese dann in großen Abteilungen in Seiten einzupassen, welche dann auf Papier gedruckt und in LKWs zu alten Menschen gefahren wurden. Und diesen alten Menschen werden diese alten Mitteilungen des Vortages auch noch als Neuigkeiten verkauft.

(Fortsetzung folgt morgen oder wenn ich Zeit habe)

Presseschau

Wenn man morgens die Zeitung überfliegt, also die Inhalte und Texte vom gestrigen Nachmittag, dann macht es manchmal Klick im Kopf. Ulkiges Thema, geschicktes redaktionelles Productplacement, dümmliches Klischee, jämmerliche Recherche, super Idee. Manchmal gibt es aber keinen Kick. So wie heute.

Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg
Traurig: Zeitungs-Promo gestern in Charlottenburg

Lediglich standardisierte Agentur-Jauche, die gestern wortgleich in verschiedensten RSS-Feeds verbreitet wurde. Auf Seite eins ein Schmuckbild. Eine Luftaufnahme aus Deutschland. Irgendwelche Inseln. In Farbe auf lumpiges Zeitungspapier gedruckt und kaum im Detail zu erkennen. Dicke Überschrift: „So schön ist Deutschland“

Trotz bemühtem Farbbild bleiben nach der Presseschau nur die schwarzen Finger, verschmieren die Tastatur, besudeln beim Bettmachen die vormals weißen Bezüge. Außerdem bleibt noch das dicke Bündel Altpapier.

Die Professionelle

Da sitze ich so im Gartencafe bei Rührei und alkoholfreiem Bier, als plötzlich eine Blondine vor mir steht. In ihrer Hand ein Glas mit einem kleinen Rest von Apfelschorle. Ob sie sich zu mir setzen dürfe, ihre Freunde seien gerade gegangen und sie habe keine Lust, die Schorle alleine auszutrinken. Warum eigentlich nicht? Sie setzt sich, ich stochere weiter in meinem Rührei rum.

Sie sei aus Hamburg, zu Besuch in Berlin, wolle hier Freunde treffen. Sie hätte da etwas Komisches mit mir vor. Eine Freundin behaupte, sie könne die Haarfarbe von Männern übers Handy an deren Stimme erkennen. Ob ich denn mit ihrer Freundin ein paar Worte reden würde. Na klar doch. Am anderen Ende eine fiepsige Stimme von „Katharina“, die behauptet, aus Schweden zu sein. Sie tippt auf braun oder schwarz – und liegt falsch.

Dani, wie sich mein Gegenüber mit dem kleinen Schluck Schorle vorgestellt hat, möchte wissen, was sie mit ihren Freunden heute Abend in Berlin machen könne. Ich frage sie, was ihr denn liegt. Keine Disko, eher etwas Gemütliches. Ich schlage eine Schiffsfahrt durch die vielen Kanäle Berlins vor.

Plötzlich hat es Dani eilig. Sie fragt nach meiner Nummer, ob ich die ihr geben würde. Kein Problem. Schon tauchen drei Menschen von hinten auf, einer bewaffnet mit einem Profi-Fotoapparat. Er hält auf mich drauf.

Die Blondine erklärt mir, das sei ein Versuch gewesen. Einer der drei sei ein Flirttrainer, der ein Buch geschrieben habe. Und sie teste die Rezepte jetzt aus – für die (na was wohl?) BILD der Frau. Stolz erklärt sie dem Trainer, dass ich ihr auch meine Nummer gegeben hätte.

Ich poche auf mein Recht am eigenen Bild, lehne eine Abdruck ab, sage meine Klarnamen nicht. Das findet Dani schade. Jetzt muss sie sich einen Neuen suchen. Den hat sie auch schon nach wenigen Minuten fünf Tische weiter. Ist auch nicht so schlimm. Schließlich wird sie ja fürs Flirten bezahlt. Dani ist eine ganz Professionelle.

Initiative Altpapiertonne

Jetzt drehen sie völlig durch. Kulturstaatsminister Bernd Neumann läutete heute die „Nationale Initiative Printmedien“ ein. Junge Leute würden immer weniger Zeitungen und Zeitschriften lesen, wird da beklagt.

In das gleiche Horn stoßen WELT-Chefredakteur Thomas Schmid (der mit dem größten Newsroom Europas, mit der Devise „Online first“ und den unter seiner Marke 1:1 ins Web abgekippten Pressemitteilungen) und Susanne Gaschke von der ZEIT (das sind die mit dem frischen Online-Redaktionsleiter Wolfgang Blau, der unlängst zu viele Tageszeitungen in Deutschland ausmachte). Gaschke wird bei kress.de mit frustrierten Beschwörungen zitiert wie „Wir müssen wirklich daran glauben, dass die Zeitung mehr zu bieten hat als das Infromationsfrikassees aus dem Internet.“ Und: Das „Geraune irgendwelcher Blogger“ werde für erfolgreicher gehalten als das Geschäft mit bedrucktem Papier.

Welch elendes Gejammer!
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Anne Will zeigt Gesicht

Gestern Abend beim müden Wir-gehen-jetzt-schlafen-EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen Slowakei, bei dem uns Reinhold „ich-verstehe-jeden“ Beckmann mit seinen überdosierten Weichspüler-Kommentaren ein Eigentor der Slowaken als Kloses Erlösungstreffer verkaufen wollte. In der Halbzeitpause gab es dann aber doch noch ein Highlight.

Flugs wurde zu den Tagesthemen, diesmal direkt aus Heiligendamm, geschaltet. Anne Will zeigt sich live und draußen, ihre Stimme dringt im Vergleich zum säuselnden Beckmann markig aus meinem 5:1-Soundsystem. Dann kommt eine Einblendung von der Begrüßung der Staatsgäste. Eine männliche Stimme versucht zu erklären, wer da wen begrüßt. Plötzlich kläfft es aus meinen Lautsprechern: „Und danke nochmal, dass ihr mir einfach den Ton abgedreht habt!“ Unverkennbar Anne Will. Unverkennbar auch der herrische Ton in der Stimme. Nein, keine Frage, ob es technische Probleme gab, kein dezenter Hinweis, der Ton sei ausgefallen. Nur der herrische Vorwurf. Das wahre Gesicht der Herrenfrau Anne Will, das sich jetzt auch nicht mehr durch noch so viele süße Fotos verbergen lässt, auf denen sie umringt von afrikanischen Kindern lächelnd posiert und den Eindruck von Liebenswürdigkeit vermittelt.

Wir freuen uns schon auf ihre neue Talkshow. Will-kommen in der Riege der Herrenfrauen!

Herbst im Blätterwald

Am Briefkasten meiner Nachbarn hängt jetzt ein zweiter Aufkleber. Unter „Keine Werbung einwerfen!“ prangt der Hinweis „Keine Tageszeitungen!“.

Am beliebten Winterfeldmarkt in Schöneberg steht eine ältere Frau unter einem ausgeblichenen, leicht defekten Sonnenschirm und versucht, den Passanten absolut kostenlos, unverbindlich, ohne Unterschrift eine aktuelle Ausgabe der „Berliner Morgenpost“ zu schenken. Fast alle lehnen ab, schütteln den Kopf oder stieren einfach in eine andere Richtung.

Wer bei der Berliner Volksbank ein kostenloses Girokonto eröffnet, der bekommt jetzt ein halbes Jahr die „Berliner Morgenpost“ umsonst nach Hause geliefert. Wer bei S-Bahn oder BVG ein Jahresticket für 650 Euro kauft, der braucht nur 3 Euro drauflegen, und schon bekommt er ein komplettes Jahresabo der „Berliner Zeitung“ oder der „Berliner Morgenpost“ dazu.

Unmittelbar vor dem Flohmarkt am Preußenpark steht ein Promotion-Duett, das mir zwei mal drei Gutscheine für „WELT am Sonntag“ in die Hand drückt. Im Café neben dem Flohmarkt liegt sonntags ein dicker Stapel „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ aus. Davor ein Schild: „Für unsere Gäste als kostenloser Service des Parkcafés“. Auf dem Weg zur Toilette, deren Nutzung für Nicht-Gäste und Flohmarktbesucher mit 50 Cent berechnet wird, liegt ein riesiger Stapel des Stadt- und Szenemagazins „Prinz“ zum Mitnehmen. Der liegt schon lange da. Und schrumpft kaum.

Früher haben die Menschen Zeitungen gekauft, um sich zu informieren, um ein Auto zu finden, eine neue Wohnung, um mitreden zu können am Pausentisch, um unterhalten zu werden oder ihren Horizont zu erweitern.

Dann haben die Leser angefangen, aus unterschiedlichen Gründen auf die Zeitung zu verzichten. Die Verlage reagierten mit Schnäppchenangeboten. Als auch diese nicht mehr zogen, wurden Beigaben geschaffen: Wer eine Zeitung kauft, bekommt eine CD dazu, wer ein Jahresabo bestellt, der bekommt die Hälfte des Preises als Bargeld gleich wieder zurück. Oder einen Staubsauger, oder einen iPod. Half auch nichts.

Jetzt werden die Zeitungen unaufgefordert in Briefkästen gesteckt, auf der Straße lungern Verteiler zwischen rumänischen Bettlern und „motz“-Verkäufern rum, um uns irgendwie diese Druckerzeugnisse zuzustecken. Jetzt kaufen wir einen Fahrschein und bekommen die Zeitung als Zugabe. Jetzt müssen wir uns schon davor schützen.

Tageszeitungen sind wertlos geworden. Nur wenige Menschen nehmen diese Papierbündel überhaupt noch gratis entgegen. Auf den Punkt bringt das der „Tagesspiegel“. Wer dort ein kostenloses und unverbindliches 14-tägiges Probeabo bestellt, der bekommt in seinem Begrüßungsschreiben als Vorteil angepriesen, dass die Belieferung mit der Zeitung auch wirklich nach 14 Tagen eingestellt wird.

Daher macht das Schild am Briefkasten meiner Nachbarn auch wirklich Sinn.